Schlusswort der Maturarbeit 'Analyse auf Werktreue der Verfilmung DER SCHATZ IM SILBERSEE (1962) nach dem gleichnamigen Roman von Karl May'
von Christoph
 
Im Herbst 2002 verfasste ich im Rahmen der für jeden Maturanden obligatorischen wissenschaftlichen Maturitätsarbeit an der Kantonsschule Rychenberg in Winterthur eine 27seitige Arbeit, in der ich Film und Buch von verschiedenen Gesichtspunkten verglich. An dieser Stelle möchte ich das Schlusswort dieser Arbeit platzieren.
 
Was für die Fragestellung dieser Arbeit ein elementarer Aspekt ist, gilt für jede Literaturverfilmung, deren Zweck die Unterhaltung des Zuschauers sein soll: Bietet der schriftliche Stoff überhaupt die Möglichkeit, ihn in seiner Form werkgetreu zu einem Film zu verarbeiten, ohne am Handlungsverlauf grundlegende Änderungen vorzunehmen? Bei dem Roman Der Schatz im Silbersee lautet die Antwort: Nein. Das Buch ist mit seinen vielen Handlungssträngen und den zahlreichen Personen für einen Abenteuerfilm von zwei Stunden viel zu komplex aufgebaut. Die Handlung muss zwangsläufig gestrafft werden. Die wichtigsten Personen, die Hauptmotive und die Kernaussage des Autors sollen aber bei einer genügenden Werktreue beibehalten werden. Erfüllt der Film diese Kriterien?
Die wichtigsten Personen des Buches kommen im Film ebenfalls vor. Der einzige fundamentale Unterschied ist das Fehlen Old Firehands, das sich jedoch sinnvoll erklären lässt.
Bei den Hauptmotiven treten einige Differenzen auf. Um das in Film und Buch gleiche Ziel - die Ankunft am Silbersee - zu erreichen, werden unterschiedliche Triebfedern benutzt. Im Film sind es zuerst der Kampf um die zweite Hälfte der Karte und anschliessend die Entführung Ellens und Freds, die die Reise stetig voran treiben. Das Buch besitzt eine andere Struktur: Verschiedene Reitergruppen schliessen sich Old Firehand an und kämpfen gegen die Tramps und die Utahs. Old Firehand kennt den Weg zum Silbersee, daher ist im Buch von einer Karte zum See nie die Rede. Salopp gesagt ist im Film die Lage von Anfang an klar: Der Cornel will den Schatz, Old Shatterhand und seine Freunde wollen den Cornel. Die für den Leser mühsame Struktur eines Buches wurde somit geschickt zu einem Film verarbeitet, indem die verschiedenen Reitergruppen auf eine „Union der Guten“ reduziert wurden. Da während des ganzen Filmes dieselben Personen aktiv in der Handlung vertreten sind, wird es dem Zuschauer möglich, von jeder Figur einen prägenden Eindruck zu erhalten, während sich im Buch die Zahl der Identifikationsfiguren durch die verhältnismässig kurzen Auftritte vieler Westmänner auf wenige beschränkt.
Obwohl es im Film Episoden gibt, die im Buch nicht zu finden sind, bleibt der Kern der Geschichte, die Suche nach dem Schatz, erhalten. Neben diesem Hauptmotiv wurden auch einige interessante Randmotive des Buches in den Film übernommen. Eine wichtige Rolle in beiden Werken spielt zum Beispiel ein Stollen; im Buch, indem der unterirdische Gang überschwemmt wird und dadurch die Utahs ertrinken, im Film als Rettungsweg für Ellen und Patterson bei Butlers Farm.
Das Weglassen einiger Episoden des Buches lässt sich meistens begründen. Als Beispiel dient hier die Eisenbahnszene: In die natürliche, von vielem Grün beherrschte Landschaft des Filmes hätte eine Eisenbahn nicht hineingepasst. Auch um die Handlung zu straffen und teure Produktionsgelder zu sparen, fehlt diese Episode im Film.
Bleibt die schlussendlich wichtigste Frage: Entspricht die Verfilmung des Buches der Ideologie Karl Mays oder wurde aus einer märchenhaften Abenteuergeschichte ein realitätsbezogener Western? Erfreulicherweise wurde im Film der Geist Karl Mays gewahrt. Nur in wenigen Szenen - wie zum Beispiel der Ermordung Woodwards oder der Auspeitschung der zwei Wächter vor Butlers Farm - wird der Zuschauer Zeuge brutaler Gewaltszenen. Generell wurde darauf geachtet, dass kein Blut zu sehen ist. Das beste Beispiel für diese May-getreue Darstellung ist, dass zu Beginn des Filmes nicht zu sehen ist, wie der Cornel Erik Engel ermordet, sondern lediglich ein Schrei zu hören ist. Die einfache Charakterzeichnung wurde werkgetreu umgesetzt: Die Schurken hinterlassen optisch wie aktiv einen bösen Eindruck, die Westmänner sind die aufrichtigen und tapferen Helden. Dass im Film nur zwei Frauen vorkommen, entspricht ebenfalls den Vorstellungen Karl Mays, in dessen Büchern Frauen nie von grosser Relevanz für die Handlung waren.

Der Schluss des Filmes entspricht sogar mehr der Ideologie Karl Mays als derjenige des Buches: Denn am Ende schliesst sich der Kreis, dessen Zeichnung mit der Ermordung Erik Engels am Anfang des Films begonnen hat. Der Schatz wird in die Tiefe gerissen, der Bösewicht getötet. Die Idee, dass die zwei Blutsbrüder dazu da sind, eine friedliche Welt von einem schlechten Banditen zu befreien und damit ihre Aufgabe erfüllt haben, wird hier deutlich. Winnetou und Old Shatterhand können daraufhin den Silbersee verlassen, so dass der Zuschauer das Gefühl hat, dass sie nie wieder an diesen Ort zurückkehren werden. Im Buch erfährt der Leser, dass Old Firehand die Silbermine mit seinen Freunden ausbeuten will. Bei einer so grossen Zahl von Leuten sind mögliche Komplikationen nicht ausgeschlossen. Der Leser hat die Möglichkeit, sich nach der Lektüre des Buches Gedanken zu machen, wie die Geschichte um den Silbersee wohl weiter gehen würde. Der Film dagegen ist in sich geschlossen.

Somit ist DER SCHATZ IM SILBERSEE eine Literaturverfilmung, die das Buch nicht Bild für Bild kopiert, sondern die Geschichte Karl Mays im nötigen Rahmen kürzt, dennoch aber den Geist des Schriftstellers wahrt und dank den gekonnt ausgewählten Schauplätzen, den ausdrucksstarken Hauptdarstellern und der Regie Harald Reinls eine eigene märchenhafte Romantik aufleben lässt.

 

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